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Abstraktion im Comic

Online-Workshop im Netzwerk Comicforschung am Rhein am 22. und 23. April 2022 + Werkstattgespräch mit der Comic-Künstlerin Almuth Ertl

Kostenlose Anmeldung an Clara Hense unter comicforschung-rheinSpamProtectionuni-koeln.de

Warum abstrakte Comics lesen? Und wie?

Leitfragen von Julia Ludewig

Abstrakte Comics halten trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihrer formellen und kommerziellen Marginalität ein fruchtbares Forschungsfeld bereit. Das beginnt, wie nicht anders zu erwarten, mit Definitionsversuchen. Forscher wie Andrei Molotiu, Thierry Groensteen und Jan Baetens haben sich damit beschäftigt, was abstrakte Comics ausmache. Dabei tauchen zwei konzeptuelle Cluster immer wieder auf, wovon das erste recht verbindlich als „nicht narrativ“ bezeichnet werden kann. Abstrakt sei ein Comic demnach dann, wenn er keine Geschichte im herkömmlichen Sinne präsentiere. Das zweite Cluster ist umrissen von Ausdrücken wie „repräsentational“, „figurativ“, „ikonisch“ und „mimetisch“ – Termini, die semantisch nicht identisch sind, aber darauf verweisen, dass abstrakte Comics die Erwartung einer gegenständlichen Ästhetik auf die eine oder andere Weise unterwandern. So einleuchtend diese Kriterien auch klingen mögen, so werfen sie bei genauerem Hinsehen ebenso viele Fragen auf wie sie beantworten.   

Zum einen ergeben sich aus den beiden Clustern „narrativ“ und „gegenständlich“ Kombinationsmöglichkeiten, die es auszuloten gilt. So entwickelt Molotiu eine zweistufige Taxonomie, nach der abstrakte Comics entweder ungegenständlich und nicht-narrativ seien (enge Definition) oder gegenständlich, aber nicht narrativ (weite Definition). Letzteres schlösse beispielsweise die Non-sequitur-Panelfolge ein, die Scott McCloud in Understanding Comics entwickelt: obwohl jedes Panel fast schon cartoonesk klare Situationen zeigt, ergibt die Bildfolge keinen (unmittelbar erkennbaren) Sinn. Groensteen wiederum nennt nur den ersten Fall, den der engen Definition, „abstrakt“ und bezeichnet den zweiten Fall als „infranarrative“. Schon hier können wir erörtern, wie weit oder eng wir den Begriff des abstrakten Comics fassen wollen und welchen Mehrwert diese taxonomische Unterscheidung besitzt.

Zum anderen sind die oben aufgelisteten Termini nicht klar definiert und fordern die Comicforschung dazu auf, sich grundlegend mit ihnen zu befassen. Was genau meinen wir, wenn wir im bild(text)lichen Medium Comic von „Narration“ sprechen? Erlebt etwa, wie Groensteen fragt, eine Linie, die sich im Laufe einer Sequenz verändert, ein „Abenteuer“? Wie zwingen uns abstrakte Comics, das verwandte theoretische Dilemma von Inhalt und Form für unsere Disziplin anzugehen? Von welchem „Inhalt“ sprechen wir, wenn wir erkennen, dass in einem Comic das Spiel geometrischer Formen und Farben zum Ziel der Darstellung wird? Auch müssen wir uns damit auseinandersetzen, ob Abstraktion beziehungsweise Gegenständlichkeit graduelle oder qualitative Eigenschaften sind: Wenn Comics per definitionem mit Abstraktion und Stilisierung operieren, wo endet eine (stereo-)typische Abstraktion, wo beginnt die avantgardistische?

Und schließlich spitzen abstrakte Comics rezeptionsästhetische Fragestellungen zu. Wer konsumiert denn eigentlich dieses Comic-Genre, und wie? Welche interpretative communities, um Stanley Fishs griffigen Ausdruck zu verwenden, produzieren und lesen abstrakte Comics? Was bedeutet „Lesen/Sehen/Rezipieren“ in diesem Fall? Können wir universell festlegen, dass LeserInnen einen Comic abstrakt lesen oder nicht? Das oben genannte Beispiel von McClouds Non-sequitur-Panelsequenz wird wohl manche ComicleserInnen dazu verleiten, semantische Kontinuität herzustellen, andere nicht. Die kognitiven und kulturellen Faktoren dieser unterschiedlichen Reaktionen zu erforschen, wäre ein lohnenswerter empirischer Ansatz. In diesem Sinne wird uns unser Workshop Gelegenheit geben, praktische und theoretische Herausforderungen zu umreißen, die nicht nur für abstrakte Comics, sondern für die gesamte Comicforschung relevant sind.  

 

Programm

Programm als PDF

Freitag, 22. April

17:00 Beginn und Begrüßung
17:15 KEYNOTE I
Dietrich Grünewald (Koblenz): Abstrakte Comics: Eine Herausforderung imaginierend-deutender Rezeption
18:15 Pause
18:30 KEYNOTE II
Julia Ludewig (Allegheny College, Pennsylvania): Gerhard Richters Comic Strip: ein eigen-artiger abstrakter Comic
19:45 Schluss

 

Samstag, 23. April

13:00 Christian Tagsold (Düsseldorf): Yokoyama Yuichi oder die Kunst der Abstraktion
13:45 Eva Wattolik (Erlangen): Gegenständlichkeit als Abstraktion bei Roy Lichtenstein
14:30 Pause
14:45 Florian Trabert (Düsseldorf): Schwarzes Quadrat und weißbärtiger Mann: Nicolas Mahlers Comics im Spannungsfeld von Abstraktion und Gegenständlichkeit
15:30 Pause
16:00 Werkstattgespräch mit der Comic-Künstlerin Almuth Ertl
17:30 Pause
18:00 Workshop und Diskussion: Gespräche über Abstrakta in Comics
20:00 Ende

 

Organisation: Julia Ludewig und Stephan Packard.